Leitfadeneinzelinterview vs. Gruppendiskussion | Problemzentriertes Interview | Fokussiertes InterviewExperteninterview | Narratives Interview | Literatur

 

Grundsätzlich gilt, dass die qualitative Befragung weniger standardisiert ist als die quantitative Befragung. Dementsprechend wird das letztliche Gespräch zwischen Forscher und Befragtem auch als un- oder teilstrukturiertes Interview bezeichnet. In diesem will man vor allem die Variabilität, die Komplexität und den situativen Kontext der Antwortbedeutungen erfassen. Im Gegensatz zum vollstrukturierten Interview, bei dem Fragen, Reihenfolge und Antwortmöglichkeiten exakt vorgegeben sind, gibt es beim teilstrukturierten Interview einen Leitfaden, der grob Fragen und Reihenfolge vorgibt, jedoch gewisse Freiheitsgrade, z. B. die spontane Abweichung vom Leitfaden, zulässt. Das unstrukturierte Interview beinhaltet keinen vorgefertigten Fragenkatalog.

 

Leitfadeneinzelinterview vs. Gruppendiskussion

Formal lässt sich das un-/teilstrukturierte Interview in zwei Formen unterscheiden – dem Leitfadeneinzelinterview und der Gruppendiskussion. In Letzterer wird, wie der Name verrät, keine einzelne Person befragt wie im Leitfadeneinzelinterview, sondern eine ganze Gruppe von meist fünf bis zehn Teilnehmern. Bekommt der Forscher im Einzelinterview die Aufgabe der Befragung zugeschrieben, die zumindest teilweise auf konkrete, fallbezogene Informationen abzielt, eben einen Leitfaden besitzt (dazu später mehr), übernimmt er in der Gruppendiskussion die Diskussionsleitung. Hier werden auch Informationen über den Forschungsgegenstand hinaus gesammelt, was ganz einfach der Tatsache geschuldet ist, dass Diskussionen tendenziell offener geführt werden, als Einzelinterviews.

Aber was macht konkret das Leitfadeninterview aus? Hört hier rein:

 

Im Vergleich dazu die Gruppendiskussion:

 

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Das problemzentrierte Interview

Das problemzentrierte Interview geht sehr ins Detail, mit ihm spannt der Interviewer einen Bogen von gesellschaftsrelevanten Themen bis hin zum biografischen Kontext des Befragten. Der Podcast stellt die sieben Phasen des problemzentrierten Interviews vor:

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Das fokussierte Interview

Beim fokussierten Interview sollen Forschungshypothesen anhand konkreter Eindrücke des Forschers falsifiziert oder verifiziert werden. Es handelt sich hierbei um eine zweistufige Befragungsmethode:
Zuerst wird der Befragte einer konkreten Situation ausgesetzt. Er sieht einen Filmausschnitt, hört einen Radiobeitrag oder liest einen Text zum Forschungsgegenstand. Dabei wird er vom Forscher genau beobachtet und seine Reaktion auf den Impuls analysiert. Diese Erkenntnisse fließen bei der Befragung des entsprechenden Gesprächspartners mit ein. Im Interview geht es wie schon im ersten Schritt darum, Erinnerungen und Assoziationen zu aktivieren, indem der Interviewer eine passive, zurückhaltende Rolle einnimmt und den Befragten in einem eher offen geführten Gespräch zu gewissen Kernthemen befragt. Das fokussierte Interview ist sehr auf die Vergleichbarkeit der Ergebnisse bei verschiedenen Befragten ausgelegt. Entwickelt wurde es in den 1940er Jahren, als man Reaktionen amerikanischer Soldaten und der Zivilbevölkerung auf Propagandafilme und Radioprogramme zu erfassen.

Beim fokussierten Interview liegt das Hauptaugenmerk auf der Sichtweise des Befragten zu einem bestimmten Objekt und ähnlich aufgebaut wie ein Leitfadeninterview. Doch im Vergleich dazu hat es einen größeren Handlungsspielraum, Gesprächsteile können vom Leitfaden abweichen. Vor allem in der Rezipientenforschung wird das fokussierte Interview gerne genutzt, um beispielsweise zu erfassen, warum Jugendliche bei einem bestimmten Fernsehprogramm weiterschalten. Großes Problem bei dieser Interviewform: Der Befragte kann leicht durch bestimmte Fragestellungen beeinflusst werden. Der Interviewer darf diese Situation auf keinen Fall ausnutzen!

 

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Das Experteninterview

Davon unterscheiden lässt sich das Experteninterview. Dies ist bei Weitem nicht so komparativ angelegt wie das fokussierte Interview und birgt zunächst einmal die Herausforderung des schwammigen Begriffs „Experte“. Generell gilt jeder als Experte, der über ein gewisses Binnenwissen verfügt, Informationen zu einem Gegenstand also, indem er einen exklusiven Wissensstand nachzuweisen hat, das im Interview dann zur Sprache kommen muss. Gemäß dieser Definition verhält sich der Begriff „Experte“ relational zum Forschungsgegenstand. Experte muss also nicht zwingend ein profilierter Wissenschaftler sein. Expertenwissen kann weit gefasst jeder zu einem gewissen Thema besitzen. Bei Experteninterviews geht es weniger um die eigentliche Zielgruppe der Befragung, als vielmehr um die Beschaffung von Hintergrund- oder Kontextwissen in Bezug auf die Forschungsfrage. Primär geht es um die Exploration eines Feldes und darum, die Antworten der eigentlichen Zielgruppe besser einordnen zu können. Ein Experteninterview ist demnach für eine Vorrecherche dringend nötig. Aber ein Problem gibt es: Wer ist Experte? Hier hört ihr genaueres:

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Das narrative Interview

Der dritte Typ des Leitfadeninterviews ist das sogenannte narrative Interview, in dem der Befragte so viel wie möglich selbst erzählen soll. Das narrative Interview findet vor allem in der biographischen Forschung Verwendung und teilt sich in fünf Phasen ein:
In der Erklärungsphase geht es darum, den Interviewten mit den durchaus speziellen Modalitäten des narrativen Interviews vertraut zu machen und allgemein eine entspannte Atmosphäre zu schaffen, um nicht völlig abrupt mit dem Interview zu starten. Darauf folgt die Einleitungsphase. Hier werden die wichtigsten Aspekte des Interviews vorab geklärt und der Befragte darauf vorbereitet möglichst zwanglos und frei zu erzählen, um den Ablauf des eigentlichen Interviews so reibungslos wie möglich zu gestalten. Die Erzählphase ist der Kern des narrativen Interviews. Auf Basis der vorhergehenden Vereinbarungen soll der Befragte frei und ohne Unterbrechung des Forschers erzählen können (s. g. Stegreiferzählung). Für Nachfragen bleibt ihm im Anschluss die sogenannte Nachfragephase, in der Unklarheiten und Widersprüchlichkeiten bereinigt werden können. Optional ist auch die letzte Stufe des narrativen Interviews, die Bilanzierungsphase. In ihr soll, wie der Name verrät, noch einmal die Bilanz der Geschichte gezogen und allgemeine Motivationen und Absichten innerhalb des Erzählten abgeklopft werden.

Vor- und Nachteile des narrativen Interviews:

 

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Literatur

Scheufele,  Bertram/Engelmann,  Ines (2009):  Empirische  Kommunikationsforschung.  Konstanz:  UTB  Basics.

Döring, Nicola/Bortz, Jürgen/Pöschl, Sandra (2016): Forschungsmethoden und Evaluation in den Sozial- und Humanwissenschaften, Springer Verlag Berlin Heidelberg.

Lamnek, Siegfried (2005): Qualitative Sozialforschung. Band 1: Methodologie. 5. Aufl. München, Weinheim: Beltz.

Przyborski, Aglaja/Wohlrab-Sahr, Monika (2010): Qualitative Sozialforschung. Ein Arbeitsbuch, 3. Korrigierte Aufl. München: Oldenbourg.

 

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