Ablaufmodell Zusammenfassung und induktive Kategorienbildung | Explikation | Strukturierung Kritik an Mayring | Was ist wichtig? | Literatur

 

Qualitative Inhaltsanalyse

anhand des Verfahren nach Philipp Mayring 

 

Philipp Mayring ist deutscher Psychologe, Soziologe und Pädagoge. Seit 2002 ist er Professor für Psychologische Methodenlehre an der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt in Österreich. Seine Technik der qualitativen Inhaltsanalyse soll an folgendem Beispiel erklärt werden:

Befragt wurden vier arbeitslose Lehrer nach den Erfahrungen ihrer Referendarzeit. Die bisherige Literatur über die Lehrerausbildung spricht davon, dass diese Zeit für den zuvor an der Universität fast ausschließlich theoretisch ausgebildeten Lehrer durch die Konfrontation mit der Schulwirklichkeit einen »Praxisschock« oder »Praxisdruck« bedeutet. Die Fragestellung ist also Was sind die hauptsächlichen Erfahrungen der arbeitslosen Lehrer/innen mit dem »Praxisschock«?

Mayring hat ein Ablaufmodell entwickelt, nach dem man sich bei der Durchführung einer qualitativen Inhaltsanalyse richten kann. Das Modell und die einzelnen Schritte werden im Folgenden gezeigt.

 

 

Ablaufmodell

 

I.    Bestimmung des Ausgangsmaterials:

a)   Festlegung des Materials

  • Grundgesamtheit, über die eine Aussage gemacht werden soll, muss genau definiert werden
  • Stichprobenumfang wird nach Repräsentativitätsüberlegungen und ökonomischen Erwägungen festgelegt
  • Stichprobe wird nach einem bestimmten Modell (Link zu Seite über Stichprobenziehung) gezogen

b)   Analyse der Entstehungssituation: genaue Beschreibung, von wem und unter welchen Bedingungen das Material erhoben wurde

  • Nennung der Verfasser bzw. die an der Entstehung des Materials beteiligten Interagenten
  • Erklärung zum emotionalen, kognitiven Handlungshintergrund des/der Verfasser/innen.
  • Angabe der Zielgruppe, für die das Material verfasst wurde.
  • Hinweise zur konkreten Entstehungssituation.
  • Hinweise zum soziokulturellen Hintergrund.

c)   Formale Charakteristika des Materials

  • In welcher Form liegt das Material vor? (z.B. Die Interviews wurden mit Tonband aufgenommen und daraufhin maschinengeschrieben transkribiert. Dafür gibt es festgelegte Transkribierregelungen).

 

II. Fragestellung der Analyse: Die Bestimmung der Fragestellung lässt sich in zwei Schritte untergliedern:

a)  Richtung der Analyse:

Von sprachlichem Material ausgehend, lassen sich Aussagen in ganz verschiedene    Richtungen machen. Man kann den im Text behandelten Gegenstand beschreiben, man kann etwas über den Textverfasser oder die Wirkungen des Textes bei der Zielgruppe herausfinden. Dies muss vorab bestimmt werden.

b)  Theoriegeleitete Differenzierung der Fragestellung:

  • die Analyse folgt einer präzisen theoretisch begründeten inhaltlichen Fragestellung.
  • Die Fragestellung der Analyse muss vorab genau geklärt sein, und theoretisch an die bisherige Forschung über den Gegenstand angebunden und in aller Regel in Unterfragestellungen differenziert werden.

 

Die bisherigen Schritte werden in Mayrings inhaltsanalytischem Kommunikationsmodell zusammengefasst und miteinander in Verbindung gebracht:

Grafik

 

III.    Bestimmung der Analysetechniken:

Es gibt drei grundsätzliche Wege, die man einschlagen kann, um ein zunächst unbekanntes sprachliches Material zu analysieren:

    • Zusammenfassung: Ziel ist es, das Material so zu reduzieren, dass die wesentlichen Inhalte erhalten bleiben
    • Explikation: Ziel ist es, zu den einzelnen fraglichen bzw. unklaren Textteilen zusätzliches Material heranzutragen, das das Verständnis erweitert
    • Strukturierung: Ziel ist es, bestimmte Aspekte aus dem Material herauszufiltern und unter vorher festgelegten Ordnungskriterien einen Querschnitt durch das Material zu legen

 

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Zusammenfassung und induktive Kategorienbildung:

Wichtig bei der Zusammenfassung ist es, Makrooperatoren festzulegen, die die Reduktion bestimmen. Also was vom Ausgangsmaterial ausgelassen wird, was gebündelt, integriert, selektiert oder gerneralisiert wird.

 

  1. Schritt: Bestimmung der Analyseeinheiten:
    • Die Kontexteinheit legt den größten Textbestandteil fest, der unter eine Kategorie
      fallen kann.
    • Die Auswertungseinheit legt fest, welche Textteile jeweils nacheinander ausgewertet werden.

 

  1. Schritt: Paraphrasierung der inhaltstragenden Textstellen
    • einzelne Kodiereinheiten (extrahierte Textstellen) werden in eine knappe, nur auf den Inhalt beschränkte, beschreibende Form umgeschrieben (Paraphrase)
    • Formulierung auf einer einheitlichen Sprachebene und in grammatikalische Kurzform (z.B. „Ja wissen Sie, ich hab’ ja
      eigentlich keine Belastung im Großen und Ganzen damals gespürt.“ wird zu „keine
      Belastung gespürt“)
    • Regeln: Z1: Paraphrasierung
      1: Streiche alle nicht (oder wenig) inhaltstragenden Textbestandteile wie ausschmückende, wiederholende, verdeutlichende Wendungen!
      Z1.2: Übersetze die inhaltstragenden Textstellen auf eine einheitliche Sprachebene!
      Z1.3: Transformiere sie auf eine grammatikalische Kurzform!

 

  1. Schritt: Bestimmung des angestrebten Abstraktionsniveaus:
    • Generalisierung der Paraphrasen unter dem Abstraktionsniveau (z. B. Abstraktionsniveau: möglichst allgemeine, aber fallspezifische (pro Lehrer) Äußerungen über die Referendarzeit, h. Äußerungen des einzelnen Lehrers über seine gesamte Referendarzeit, die seine Erfahrungen mit dem »Praxisschock« zusammenfassen
    • Z2: Generalisierung auf das Abstraktionsniveau
      1: Generalisiere die Gegenstände der Paraphrasen auf die definierte Abstraktionsebene,
      sodass die alten Gegenstände in den neu formulierten impliziert sind!
      Z2.2: Generalisiere die Satzaussagen (Prädikate) auf die gleiche Weise!
      Z2.3: Belasse die Paraphrasen, die über dem angestrebten Abstraktionsniveau liegen!
      Z2.4: Nimm theoretische Vorannahmen bei Zweifelsfällen zu Hilfe!

z. B.:

Paraphrase Generalisierung
Keine psychische Belastung durch
Praxisschock gehabt
Kein Praxisschock
Im Gegenteil, ganz begierig auf
Praxis gewesen
Eher auf Praxis gefreut
War stofflich einfach und faszinierend für die Schüler Gut vermittelbarer Stoff als
Bedingung
Praxisschock war es bestimmt nicht Kein Praxisschock
Darauf gewartet, endlich zu unterrichten Auf Praxis gefreut

 

  1. Schritt: erste Reduktion durch Selektion:
    • Streichen bedeutungsgleicher Paraphrase
    • Z3: Erste Reduktion
      1: Streiche bedeutungsgleiche Paraphrasen innerhalb der Auswertungseinheiten!
      Z3.2: Streiche Paraphrasen, die auf dem neuen Abstraktionsniveau nicht als wesentlich
      inhaltstragend erachtet werden!
      Z3.3: Übernehme die Paraphrasen, die weiterhin als zentral inhaltstragend erachtet werden
      (Selektion)!
      Z3.4: Nimm theoretische Vorannahmen bei Zweifelsfällen zu Hilfe!

z. B.

Paraphrase Generalisierung Reduktion
Keine psychische Belastung durch
Praxisschock gehabt
Kein Praxisschock
als großen Spaß erlebt wegen
Praxis nicht als Schock, sondern als großen Spaß erlebt, wegen:

– Vorheriger Lehrererfahrung

 

Im Gegenteil, ganz begierig auf
Praxis gewesen
Eher auf Praxis gefreut  – Landschule ohne Disziplinschwierigkeiten

 

War stofflich einfach und faszinierend für die Schüler Gut vermittelbarer Stoff als
Bedingung
-Keine unrealistischenErwartungen gehabt
Praxisschock war es bestimmt nicht Kein Praxisschock
Darauf gewartet, endlich zu unterrichten Auf Praxis gefreut

 

  1. Schritt: zweite Reduktion
    • Bei der zweiten Reduktion sollen die Kategorien weiter reduziert werden, indem man die Aussagen Fallübergreifend darlegt
    • Z4: Zweite Reduktion
      1: Fasse Paraphrasen mit gleichem (ähnlichem) Gegenstand und ähnlicher Aussage zu
      einer Paraphrase (Bündelung) zusammen!
      Z4.2: Fasse Paraphrasen mit mehreren Aussagen zu einem Gegenstand zusammen
      (Konstruktion/Integration)!
      Z4.3: Fasse Paraphrasen mit gleichem (ähnlichem) Gegenstand und verschiedener Aussage
      zu einer Paraphrase zusammen (Konstruktion/Integration)!
      Z4.4 Nimm theoretische Vorannahmen bei Zweifelsfällen zu Hilfe!

 

  1. Schritt: Zusammenstellung der neuen Aussagen als Kategoriensystem
    • Es muss überprüft werden, ob alle ursprünglichen Paraphrasen des ersten Materialdurchgangs im neuen System aufgehen, sodass relevantes Material nicht verloren geht oder übergangen wird.

 

  1. Schritt: Rücküberprüfung
    • Zuletzt wird das zusammenfassende Kategoriensystem nochmals am Ausgangsmaterial überprüft.

 

Explikation:

Explikation meint die Ergänzung einer Textstelle durch fremdes Material. Sie wird angewendet, um eventuell unverständliche Stellen oder Ausdrücke zu erklären.

 

Strukturierung/ deduktive Kategorienbildung:

Ziel der Strukturierung ist es, die Struktur aus dem vorhandenen Material herauszufiltern. Dies geschieht in acht Schritten

  1. Bestimmung der Analyseeinheit
  2. Festlegung der Strukturierungsdimensionen
  3. Bestimmung der Ausprägungen/ Zusammenstellung des Kategoriensystems
  4. Formulierung von Definitionen
  5. Fundstellenbezeichnung
  6. Bearbeitung der Fundstellen
  7. Überarbeitung der Kategoriendefinitionen
  8. Ergebnisaufarbeitung

 

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Kritik an Mayring

  • Kollegen Mayrings aus der qualitativen Inhaltsanalyse kritisieren, dass er im Grunde genommen auch nur zählt und somit eigentlich nicht richtig qualitativ, sondern quantitativ analysiert
  • Mayring ist nicht eindeutig verständlich. Zwar ist seine Analyse in Schritte gegliedert (z.B. Strukturierung, Kategorien bilden,….), diese können allerdings nicht immer klar voneinander getrennt werden.
  • Durch die interpretative Beliebigkeit, ist die Analyse schwer überprüfbar.
  • Durch vorschnell gebildete Kategorien, können Nuancen verloren gehen.
  • Zur tatsächlichen Analyse wird nicht der originale Text, sondern die daraus gebildeten Paraphrasen verwendet.

 

  • Positiv bewertet wird, dass mit Mayrings Verfahren große Mengen an Material bearbeitet werden können. Außerdem ist die Analyse durch ihre Subjektivität nah an der Realität

 

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Was ist wichtig?

  • Einbettung des Materials in seinen Inhaltszusammenhang: Texte werden im Rahmen der qualitativen Inhaltsanalyse nach Mayring immer innerhalb seines Kontextes interpretiert, das Material wird auch auf seine Entstehung und Wirkung hin untersucht
  • Systematisches und regelgeleitetes Vorgehen: Orientierung an vorher festgelegten Regeln der Textanalyse, Anpassung an die jeweilige Fragestellung, jeder Analyseschritt muss auf eine begründete und getestete Regel zurück geführt werden können (→ Nachvollziehbarkeit)
  • Kategorien in Zentrum der Analyse: Die Ziele der Analyse sollen in Kategorien konkretisiert werden, ein Kategoriensystem ermöglicht Vergleichbarkeit der Ergebnisse und Reliabilität der Analyse
  • Gegenstandsbezug statt Technik: Der Gegenstand steht im Vordergrund, Verfahrensweisen sind am alltäglichen Umgang mit sprachlichem Material orientiert
  • Überprüfung der Instrumente durch Pilotstudien: Die grundlegende Verfahrensweise und das Kategoriensystem sollten in einer Pilotstudie getestet werden.
  • Gütekriterien: Einschätzung der Ergebnisse nach Gütekriterien wie Objektivität, Reliabilität und Validität ist in qualitativen Inhaltsanalysen besonders wichtig. Besonders in der Pilotphase ist eine Suche nach Fehlerquellen wichtig, da sie zu einer Modifikation der Analyseinstrumente führen kann.
  • Analyse wird von Theorien geleitet: Forschungsstand zum Untersuchungsobjekt wird systematisch bei allen Verfahrensentscheidungen herangezogen. Inhaltliche Argumente sollten in der qualitativen Inhaltsanalyse immer Vorrang vor Verfahrensargumenten haben, das heißt, dass theoretische Argumente zum Festlegen des Vorgangs der Analyse herangenzogen werden → Validität geht vor Reliabilität.
  • Einbezug quantitativer Analyseschritte: Im Analyseprozess sollen die Punkte angegeben werden, an denen quantitative Schritte sinnvoll eingebaut werden können. Quantitative Analyseschritte werden immer dann besonders wichtig sein, wenn es um eine Verallgemeinerung der Ergebnisse geht. Die Integration quantitativer Techniken muss jedoch begründet werden.

 

Literatur

Mayring, Philipp (1952): Qualitative Inhaltsanalyse. Grundlagen und Techniken. 12. Auflage. Weinheim: Beltz.

 

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